Ein persönliches Interview

(Jördis Schön bei einem ihrer Aufklärungsvideos)

Bewusstseinskontrolle in Online-Kulten – “Es ist möglich!“

Ein Interview mit Jördis Schön über ihre Zeit in einem Online-Kult

Kristina F. hat die 12. Klasse einer Waldorfschule in Berlin besucht und sich als Referatsthema “Bewusstseinskontrolle in Sekten” ausgesucht. Während ihrer Recherche ist sie auf den aufklärenden YouTube-Kanal  von Jördis Schön gestoßen und hat mit ihr ein Interview durchgeführt, um dieses im schriftlichen Teil und der Präsentation aufzuführen. Im Interview erzählt Jördis Schön, wie es dazu kommt, in eine destruktive Gruppe hineinzugeraten, was das Spezielle an einem Online-Kult ist, wie ihre Zeit in der Gruppe war und was die Entscheidung des Austrittes vorangetrieben hat.

Wie kamen Sie denn zu der destruktiven Gruppe?

Das war so eine Lebensphase, wo viel passiert ist. Ich befand mich gerade in einer Krise. Ich will nicht sagen, dass ich total am Boden war. Das kann man ja schnell bei „Ex-Sektenmitgliedern“ denken. Aber es war eine Umbruchszeit. Ich hatte da gerade eine Trennung hinter mir mit einer langjährigen Beziehung, in die auch ein Kind involviert war. Ich wohnte in einer Übergangswohnung und stand kurz vor dem Umzug, also dem Wegzug von der Familie. Und ich war ein wenig auf der Suche: Wie geht’s weiter? Was ist der Sinn in meinem Leben?  – Und da habe ich diese Facebook-Gruppe gefunden, und die hatte zwei spirituelle Lehrer, würde ich es mal nennen – das ist mir aber in dem Moment noch gar nicht so bewusst gewesen. Es war genauer gesagt ein deutscher Ableger der Gruppe. Und ich habe diese deutsche Gruppe gesehen, und das hat mich einfach angesprochen…

Die haben Webinare gemacht zu spirituellen Fragen und Beziehungsfragen, und ich hatte mir das angeguckt und fand das ganz überzeugend. Ich hatte sowieso gerade eine Art Reha hinter mir, wo viel mit Gestaltung und auch der Methode der “Inneren-Kind-Arbeit” gemacht wurde, und wollte mich da quasi weiterentwickeln. Dann habe ich gedacht, ich probier‘ einfach ein Coaching bei einer Frau aus, die ich aus den Webinaren kannte. Das lief alles über Zoom (also Videokonferenz), und ich hatte da eine bestimmte Fragestellung. Das ging so eine Stunde, und ich fand das am Ende für mich irgendwie ziemlich gut – also war schon sehr begeistert danach. Es gab eine Übung, die man da gemacht hat, so eine „Innere-Kind-Übung“, und ich war dem wie gesagt sehr verbunden und fand das gut. Ich fühlte mich nach diesem Coaching wirklich wie befreit und mit mir selbst und meinem Herzen mehr verbunden. Es ging um eine Art Spiegelprinzip und das Loslassen von alten Mustern. Alles, was sich im Äußeren an Problemen zeigt, könnte man demnach im Inneren heilen. Es war eine 4-Schritte-Übung, die in ähnlicher Form beispielsweise auch in der Arbeit von Byron Katie oder anderen Lehren genutzt wird. Man dreht hierbei die Pronomen eines Satzes um. – Der Satz bezieht sich auf einen Konflikt oder eine innere Fragestellung. Und danach kommt man auf eine Art Glaubenssatz im eigenen Inneren, den man heilen kann. – Also damals hatte ich das Gefühl, ich habe einen Benefit davongetragen. Aus heutiger Sicht würde ich diese Schritte-Lösungen mit Wort-Umkehrungen als kritischer betrachten.

Gab es eine bestimmte Versprechung oder war es allgemein diese Verbindung zum Selbst?

Naja, am Anfang ging es darum, dass man mit sich selbst eine Verbindung hat. Eigentlich war es so, dass man wieder mehr auf sich selbst hört. Später kam dann das Spirituelle dazu, dass man auch sagen kann, wenn man sich mit seinem Herzen verbindet, dann ist man mit Gott verbunden oder dem Universum. Es ging immer schon um Heilung und sich besser fühlen, also das schon von Anfang an. Ich hatte aber auch wirklich das Gefühl, dass das bei mir der Fall war. Das war mir am Anfang natürlich nicht bewusst. Keiner geht ja in so eine Gruppe rein, wo er das gleich merkt, dass das jetzt hier ein Kult ist oder eine Sekte oder eine destruktive Gruppe. Die Heilversprechen wurden tatsächlich später immer größer, dass man dann mit dieser Methode alle Krankheiten heilt und, dass die ganze Menschheit um Jahrtausende gesünder werden würde.

Mir war das gar nicht so bewusst, dass es auch Online-Kulte gibt. Wie kann man sich denn da so die Strukturen und die Abläufe vorstellen?

Mir war das auch nicht bewusst. Man gerät so rein in eine Gruppe und denkt: Mensch, das ist ja alles ganz spannend, was hier angeboten wird. Dann kam auch die Pandemie dazu, das war bei mir auch gerade die Zeit, wo dann die Pandemie begonnen hat. Und diese Gruppe war schon vor der Pandemie technisch sehr gut aufgestellt mit Videokonferenzen, aber auch mit anderen Sachen. Wie ich gesagt habe, fing es mit dem Coaching und der Heilungsübung an. Das ist ein wichtiger Bestandteil, diese Coachings. Man hat also immer diese Form von Suggestionsübung gemacht, die sich wie eine Meditation bzw. auch Trance-Übung gestaltete. Und das fühlte sich am Anfang eben gut an bei mir, aber mit der Zeit macht das auch was mit einem. Facebook war auch ein wichtiger Bestandteil, dass man da viel nachlesen und sich austauschen konnte. Dann gab es da wie schon erwähnt die Webinare. Die liefen auch über Facebook & YouTube. Und es gab viele YouTube-Videos, in denen die Coaches über die Heil-Methode und Heilerfolge redeten. Also bei mir fing das ja an mit diesen Einzel-Coachings; und dann habe ich gedacht: Ach, mach’ mal Gruppencoachings. Die waren dann günstiger. Also habe ich dann jede Woche so ein Gruppencoaching gemacht. Am Anfang war das alles noch harmlos, aber dadurch hat man den Kontakt zu den Menschen gekriegt. Und die haben dann eben erzählt, was sie durch die Gruppe noch Tolles erleben. Und es gab halt im Hintergrund so ein Gerüst, das diese Gurus aus Amerika aufgebaut hatten. Das ist im Grunde ein riesiges Multi-Level-Marketing-System; davon gibt es im Coaching-Bereich inzwischen ganz viele. Also die selber haben ihre Methode erstmal entwickelt und weitergegeben in Form einer Online-Schule. Das heißt, die haben sich da hingesetzt und unten hatte man noch so zehn oder fünfzehn Personen mitsitzen; und das haben die gefilmt. Da haben die hunderte Stunden von Material aufgenommen und diese Schule und ihre Coaching-Methode gefilmt. Und dieses Gefilmte haben die dann online gestellt und haben gesagt: „Das ist ganz wichtig. Das ist eine Schule für Euch.“ Es geht ja so Stück für Stück. Also man soll das dann kaufen oder wird angehalten, das zu tun, denn nur dann gerät man angeblich höher in seiner Schwingung. Es gab auch einen gewissen Zwang: Nur, wer diese Schule komplett gekauft hatte, durfte dort die Coaching-Ausbildung machen. Also hat das sehr geschickt alles aufeinander aufgebaut. Und während man sich diese Schule anguckt, so wurde gesagt, würde man auch innerlich ‘mitheilen.’ Also das war was Wichtiges. Und da gab es zwei verschiedene Schulen. Es gab eine sogenannte „Ascension-School“ (“Aufstiegs-Schule”) und es gab eine „Life-Purpose-School“ (“Schule des Lebens-Sinns”). Und bei dieser Ascension-School gab es auch zwei verschiedene Durchläufe. Bei der “Life-Purpose-School” geht es angeblich darum, seinen eigenen beruflichen Weg zu finden, aber diese Schule führte sehr geschickt zu dem einen Ziel: Dieser Lehre zu folgen. Und das alles hat man Stück für Stück für viel Geld gekauft und konnte sich dann immer wieder diese Schule angucken in dem Glauben, dass einem das hilft. Man wurde auch dazu angehalten, seine “Soul-Family” (“Seelen-Familie”) zu entdecken – hier gab es Treffen mit Freunden manchmal am Wochenende. Und jetzt muss man sich mal vorstellen, es war Pandemie, und da war das manchmal auch ganz schön, in Kontakt zu sein. Es gab auch so Heilungssessions und discussion groups; da hat man sich dann getroffen und und zu bestimmten Themen „geheilt“, also mit der Methode innere Arbeit geleistet. Was die Gurus auch noch aufgebaut haben, ist eine Kirche. Da haben die jeden Sonntag einen Gottesdienst aufgenommen, auch alles über Video; da waren Leute aus der Gruppe dann angehalten, mitzumachen. Und für diese Kirche sollte man ein Drittel seines Gehaltes spenden. Und so ist man Stück für Stück da reingeraten. Es ging später darum, dass man selber Aufgaben übernimmt als so genannter “Voluntär”, natürlich alles kostenlos. Ich hab‘ damals kostenlos Videos für einen neuen Wirtschaftszweig der Gruppe geschnitten mit dem Titel „Göttlich Essen“, wobei die Gruppe Menschen Ernährungskurse verkauft. Ganz am Schluss habe ich noch an einem speziellen Traumaheilungsprogramm teilgenommen, welches auch über Online-Coachings durchgeführt wurde.

Und ja, ich kann nur sagen: „Es ist möglich – Bewusstseinskontrolle über Online-Mechanismen…!“

(Video zu einer nachgestellten Coaching-Sitzung von J. Schön)

Und die Manipulation oder Bewusstseinskontrolle ist eben hier besonders – in meinen Augen – durch die Form der Coachings geschehen. Durch die Tranceübungen hat man quasi sein Gehirn bzw. sein Nerven-System wie neu programmiert. Sowas ist möglich. Passt auf Leute!

Sie haben ja gesagt, dass Sie das anfangs sehr positiv wahrgenommen haben. Wie würden Sie jetzt rückblickend die Zeit beschreiben?

Ja. Ich hab mich dann im Nachhinein viel damit beschäftigt, um das Ganze zu verarbeiten: „Was war da eigentlich los?“ Es ist bei vielen so, dass es am Anfang eine große Begeisterung gibt, man hat da was für sich entdeckt, und, ich würde fast sagen, bis zur Hälfte der Zeit war eine große Begeisterung da. Es fängt damit an, dass man genug hat von dem, was man bisher gelebt hat und will jetzt mal was Neues aufbauen und will die Welt zu einem besseren Ort machen; so ein bisschen ein Hauch von “68er Feeling”… Und ich dachte eben: Wow, diese Innere-Kind-Arbeit oder diese Herzverbindung, das macht ja wirklich was mit mir, und ich fühle mich wirklich besser! Also man ist auch schnell in so einem magischen Denken drin, vor allem wenn die anderen dann sagen, was sie für tolle Heilungserfolge haben: „Oh bei mir ist das und das passiert. Und jedes Mal, wenn ich diese Übung mache, ist mein Leben viel besser.” Es ist auch so ein Gruppen-Ding, und ich war wirklich hochbegeistert am Anfang. Da muss also auch irgendwas dabei sein, das einem am Anfang gut zu tun scheint; vielleicht auch dieses Zugehörigkeitsgefühl oder „Love-Bombing.“ Das war eben bis zur Hälfte so bei mir, und dann ist das irgendwann gekippt. Ich habe immer mal überlegt: Wo war jetzt der Punkt? Wann war das? Wo fühlte ich mich noch frei? und Wann war ich jetzt wirklich unter Einfluss? – Ich kann es nicht ganz genau greifen…

Zum Ende hin, als ich ausgestiegen bin, war das aber eine sehr schwierige und bittere Erfahrung – da ist es quasi dann fast zu spät – wo ich im Nachhinein sagen würde: Ich war da echt beeinflusst und nicht mehr so richtig ich selbst. Und dann ist es so, dass man sich das immer weiter schönredet, und man kommt in so eine Abhängigkeit oder so einen „Inner Circle“, also den “Inneren Kreis” von dieser Gruppe. Du übernimmst dann Aufgaben und bist vielleicht mehr gebunden an diese Gruppe. Und gleichzeitig passiert immer mehr eine Isolation von außen. Und das beides zusammen bringt dich in diesen Zustand, dass du da nicht mehr rauskommst. Dann ist es irgendwann möglich, dass die wirklich dein gesamtes Weltbild quasi „umstülpen“ können; also das, was vorher richtig und falsch war, ist dann genau umgekehrt. Und das Außen, also die Welt, wie wir sie jetzt erleben, die hat natürlich auch Fehler oder blöde Seiten, aber eben auch gute Seiten. Aber das ist dann wie ein „Schwarz-weiß.” Dann ist es eben nur noch in der Gruppe gut, aber nicht mehr in der Welt da draußen. Und das ist das, wo es gefährlich wird; also wo man sich isoliert und wo man so weit drin ist in diesem System, dass man nicht mehr so leicht rauskommt. Das fühlte sich dann wirklich so an, als ob ich da gefangen oder drin steckengeblieben bin.

Haben Sie die Bewusstseinskontrolle, die zu diesem Zustand führte, irgendwie wahrgenommen oder können Sie im Nachhinein sagen, wie das ungefähr aussah?

Ich habe sie zu dem Zeitpunkt nicht wahrgenommen. Wenn es dir in dem Moment wirklich bewusst ist, dann ist das eigentlich der Punkt, wo du aussteigst. Das Ausmaß der Manipulation hat sich mir erst später gezeigt. Ich kann nur im Nachhinein sagen, dass das wie ein Kampf ist, der da in einem stattfindet. Also es ist nicht so, als ob man ein “ferngesteuerter Zombi” ist. Es gibt noch irgendwo einen Teil, der anders ist und der auch ansprechbar ist – wie so ein freier Teil – , aber der wird stark unterdrückt. Ich habe in der letzten Zeit schon gemerkt, dass es mir nicht gut geht und habe es im Nachhinein aber wirklich noch mal rekapitulieren müssen: Was war das denn jetzt eigentlich? Man ist dann auch, wenn man aussteigt, immer noch so ein bisschen wie gefangen zwischen diesen zwei Zuständen. Da ist dieses „autonome Selbst“, und trotzdem ist da noch dieses „Kult-Selbst.” Man schwingt so ein bisschen hin und her. Es ist wirklich so, dass die Gefühle und auch das Denken sehr stark beeinflusst sind, als würde man sich immer wieder etwas einreden; so muss man sich das vorstellen. Also weil dir das dann tagtäglich durch die Coachings oder die Meditation eingeredet wird, weil man das übertrieben als Lösung für alles macht und später auch immer wieder für sich selbst durchgeht… So fühlt sich das an; und ich hab‘ es in meinen Videos auch öfters gesagt: Als ich ausgestiegen bin, hab ich mich öfters wie benebelt gefühlt. Es ist wirklich so, als wenn da Zustände erreicht werden, wo man nicht mehr richtig bei sich selbst ist, ein bisschen wie aufgelöst, weil man seine eigenen Grenzen nicht mehr richtig wahrnimmt. Und da muss man erst mal eine Weile dran arbeiten, um das wieder hinzukriegen. Jedenfalls war das meine persönliche Erfahrung.

Würden Sie noch ein bisschen was zu Ihrem Ausstieg erzählen?

Also da waren zwei Sachen: Erstmal ging es mir nicht so gut; weil, die hatten in der Gruppe wie gesagt so ein Traumaheilungsprogramm, wo man dann in Flashbacks reingeht und über seine Traumata redet und einem dann eingeredet wird: „Schmerz existiert nicht“, also: „Pain is not real“ und „Nur die Liebe zu Gott ist das einzig Wahre.” Das wird dir als einziges Mittel mitgegeben – als wenn man das so einfach übergehen kann. – Da habe ich gemerkt: Damit geht es mit gar nicht gut, so dass ich wirklich schon Halluzinationen hatte und sehr oft ziemlich mitgenommen war, in einem traumatischen Zustand, und sehr oft geweint habe und so. Und dann als Zweites gab es noch eine Person von außen, eine Angehörige, die mich damit konfrontiert hat. Diese Angehörige hat das wirklich ernst genommen; weil, es ist ja immer die Frage: Ist da jemand in einer harmlosen spirituellen Gruppe, oder steckt da mehr dahinter? Man muss das ja erst mal verstehen. Und die hat da nachgeforscht und hat einiges rausgefunden und sich auch mit Experten unterhalten und hat auch sogar mit Freunden von mir geredet. Die haben aber alle noch gedacht: „Ach lass sie sich doch spirituell weiterentwickeln und ausprobieren.” Die haben das nicht so ernst genommen. Und diese Angehörige hat dann aber gesagt: „Hey du, wir müssen jetzt mal reden.” Und ich wollte davor fast fliehen. Aber sie hat mich dann ganz hart konfrontiert, weiß ich noch. Und ich konnte dann nicht mehr ausweichen in dem Moment. Wir haben uns dann getroffen und erstmal über die ganze Sache geredet. Und das hat mir dann irgendwie geholfen und die Augen geöffnet – dieses Gespräch mit einer Vertrauten, die nicht zu der Gruppe gehörte und gar nicht so böse war, wie ich dachte oder wie mir das die Gruppe eingeimpft hatte. Und gleichzeitig merkte ich wie gesagt: Mir geht‘s irgendwie nicht gut. – Und dann war es tatsächlich so, dass ich von einem Tag auf den anderen relativ schnell gesagt habe: „Nee, also das ist jetzt gar nicht mehr gut. Ich muss jetzt hier raus.“

(Authentische Bindungen können eine Hilfestellung sein.)

Wenn diese direkte Konfrontation auch dazu geführt hat, dass Sie diese Gruppe verlassen haben, würden Sie Angehörigen von Sektenmitgliedern auch zur Konfrontation raten, oder hätten Sie andere Ratschläge?

Es ist schwierig. Ich habe irgendwo gelesen, man muss „guter Bulle, böser Bulle“ sein. Es ist schwer, die Person zu erreichen. Auf jeden Fall ist es wichtig, denjenigen nicht aufzugeben und weiterhin Kontakt zu haben und zu sagen: „Hey, du bist mir wichtig…“ Vielleicht immer mal melden und wenn es möglich ist, versuchen, darüber Gespräche zu führen; das würde ich schon empfehlen, weil das eben eine andere Form von Kontakt ist. Und wenn vorher eine Verbindung existiert hat, das dann auch spürbar zu machen. Ich habe mich ja viel mit dem Bindungshintergrund beschäftigt; also, dass es ganz wichtig sein kann, das immer wieder aufzuzeigen: „Guck mal, wir hatten und haben doch ‚ne Verbindung.” Ich glaube, das war das, was ich dann in dem Ausstiegs-Gespräch wieder gespürt habe. Dir wird ja eingeredet, dass das Außen dich manipulieren will oder diese alten Freunde oder Familie, Eltern und so weiter… Aber dann merkst du – und das war bei mir der Fall: „Eigentlich will mich diese Person jetzt gar nicht manipulieren.“ Also es ist so ein bisschen, wie wenn man in einer „Matrix-Welt“ gefangen ist; weil, dir wird ja immer genau das Gegenteil gesagt. Wer dich eigentlich manipuliert, ist aber die Gruppe. Und es wird dir genau andersrum eingeredet. Als ich das dann gemerkt habe, war es, als ob ein Vorhang gefallen ist oder so eine Wand. Die Isolation hat aufgehört.

Wie wirkt sich denn diese Erfahrung heute noch auf Ihr Leben aus?

Es ist jetzt mehr als zwei Jahre her, und es war ein Jahr, dass ich da drin war. Trotzdem ist es immernoch sehr erschreckend, im Nachhinein festzustellen, wie schnell einen so was catchen kann… Dass man in einen Strudel gerät, ganz viel Geld verliert und sein ganzes Leben plötzlich nach so etwas ausrichtet. Es ist wie eine Narbe oder ein Bruch in einem drin. Ich war im Nachhinein in einer Selbsthilfegruppe, und da hatte eine gesagt: „Ich hab’ einen Sprung.” Ja, so kann man sich das vorstellen. Dein Grundglaube an Menschen ist erschüttert. Es sind ja Menschen, die das machen; auch wenn wir hier von Religion reden. Es kann theoretisch in jeder Gruppe so eine Manipulation stattfinden. Also man ist sehr erschüttert, wie sehr und wie schnell man so beeinflussbar ist; und, dass man dann auch selber ein Teil von so einem destruktiven System ist. Mich hat es schon sehr lange beschäftigt, das zu verarbeiten. Jetzt im Moment geht es mir ganz gut, würde ich sagen, aber ab und zu beschäftigt mich das immer noch ganz schön. Ich hab dann ja auch Videos darüber gemacht, um aufzuklären, wie das passieren kann und auch zu sagen: „Hey, das kann jedem passieren, und das geht echt ziemlich schnell.“ Das ist mir immer noch wichtig. Ich habe aber auch draus gelernt; das ist vielleicht wieder positiv. Also irgendwie hat das Thema auch was, weil wir alle vielleicht daraus lernen können, besser mit Menschen umzugehen; und ja, wie schnell das gehen kann, dass ein totales System entsteht. Und auf der anderen Seite zu spüren, wann das eben nicht so ist. Ich merke jetzt viel schneller, wenn da eine Person ist, die manipulativ oder dogmatisch ist, oder wenn ich in einer Gruppe oder unter Menschen bin, wo das nicht so ist. Also ich kann das ab und zu schon wieder genießen. Das ist nämlich etwas, das einem danach erstmal nicht so leichtfällt: In Gruppen zu sein. Aber ich halte es für ratsam, das trotzdem zu machen. Es ist dann, wie wenn man einen Unfall erlebt hat und wieder ins Auto steigen muss, um das zu verarbeiten. Man muss dann das Vertrauen zu anderen Menschen wieder kriegen.

(Fotos: cc Pixabay)