K: Wie kamen Sie denn zu der destruktiven Gruppe?
J: Ja, genau, wie kam ich denn dazu? Das war so eine Lebensphase, wo irgendwie viel passiert ist
bei mir. Ich hatte da gerade auch so naja wie so eine leichte Krise… Ich sage das jetzt so, weil ich
will nicht sagen, dass ich total am Boden war in der Zeit, das kann man ja schnell da denken… Aber
es war eine Umbruchzeit, also ich hatte da gerade eine Trennung hinter mir mit einer langjährigen
Beziehung und war ein bisschen in Aufbruchsstimmung und hab dann eine Facebook-Gruppe
gefunden und die hatte so einen spirituellen Hintergrund, das muss ich auch sagen, obwohl Kulte ja
auch von verschiedenen Richtungen her kommen können. Ich war damals auch ein wenig auf der
Suche „Wie gehts weiter? Was ist so der Sinn in meinem Leben?“ Und da habe ich eben diese
Gruppe gefunden und die hatte so zwei spirituelle Lehrer, würde ich es mal nennen, das ist mir aber
in dem Moment noch gar nicht so bewusst gewesen. Es war ein deutscher Ableger, also das waren
eigentlich so amerikanische, die da ganz an der Führung waren, zwei amerikanische Menschen.
Und ich habe aber eben diese deutsche Gruppe gesehen und das hat mich einfach angesprochen …
die haben auch so Seminare gemacht zu spirituellen Fragen und da ging es auch um
Beziehungsfragen und ich hatte mir das angekuckt und fand manche ganz überzeugend, wie die das
gemacht haben. Und ja, wie soll ich sagen? Ich hatte sowieso auch gerade eine Art Reha hinter mir,
wo viel mit Gestaltung gemacht wurde und auch Gespräche und so und wollte mich da quasi
weiterentwickeln, sagen wir es mal so. Und dann habe ich gedacht, ich probier einfach da mal so
ein Coaching zu machen, das erschien mir damals als schlüssig, bei so einer Frau. Das lief alles
auch über Zoom und ich habe dann ein Zoom-Coaching ein Mal gemacht und hatte da eine
bestimmte Fragestellung, das ging so eine Stunde, und fand das am Ende für mich irgendwie
ziemlich gut, also war sehr begeistert danach. Ich war zu der Zeit gerade in einer
Übergangswohnung, ich war gerade am Umziehen und das fühlte sich für mich irgendwie gut an. Es
gab eine Übung, die man da gemacht hat, wie so eine innere-Kind-Übung und ich war dem gerade
irgendwie sehr verbunden und fand das gut, da ist ja erst mal nichts Schlechtes dran, und fühlte
mich nach diesem Coaching wirklich so ein bisschen wie befreit und wie mit mir selbst mit meinem
Herzen und so wieder mehr verbunden. Also ich hatte das Gefühl, ich hab da irgendwie ein Benefit
davongetragen und war, ja, schon ziemlich begeistert nach dem ersten Coaching. So ungefähr fing
das an.
K: Gab es eine bestimmte Versprechung oder war es allgemein diese Verbindung zum selbst?
J: Naja, am Anfang ging es darum, dass man mit sich selbst eine Verbindung hat, eigentlich war es
so, dass man wieder mehr auf sich selbst hört und später kam halt dieses Spirituelle ein bisschen
dazu… dass man auch sagen kann, wenn man sich mit seinem Herzen verbindet, dann ist man
irgendwie auch mit Gott verbunden oder dem Universum, was auch immer. Es ging immer so ein
bisschen um Heilung und sich besser fühlen, also das schon von Anfang an, und ich hatte aber auch
wirklich das Gefühl, dass das bei mir der Fall war. Das war mir am Anfang natürlich nicht so
bewusst, also keiner geht ja wirklich in so eine Gruppe rein, wo er das gleich merkt, das das jetzt
hier irgendwie ein Kult ist oder eine Sekte oder eine destruktive Gruppe… Die Heilversprechen
wurden tatsächlich immer größer, dass man dann mit dieser Methode oder mit diesen Coachings,
die man da macht, dass man sich um Jahre weiter heilt oder gesund wird, die ganze Menschheit
wird gesund und auch Krankheiten können geheilt werden, also das war schon sehr, sehr groß, da in
der Gruppe.
K: Mir war das gar nicht so bewusst, dass es auch Online-Kulte gibt, wie kann man sich denn da so
die Strukturen und die Abläufe vorstellen?
Ja. Mir war das auch nicht bewusst, man gerät da so rein in irgend so eine Gruppe und denkt
„Mensch, das ist ja alles ganz spannend, was hier ist“, dann kam auch die Pandemie dazu, das war
bei mir auch gerade die Zeit, wo dann die Pandemie begonnen hat, und ja, wie ich ja schon gesagt
habe, die waren schon vor der Pandemie so gut aufgestellt mit Zoom, vor allen Dingen mit Zoom
und aber auch mit anderen Sachen… Und wie ich jetzt gesagt habe, es fing dann halt mit so einem
Coaching an, mit einem Zoom-Coaching und dann gab es eine spezielle Heilungsübung, die ein
bisschen was von der Inneren-Kind-Heilung hatte, wie ich schon gesagt hatte, aber auch immer
wieder so eine Art Spiegelprinzip und loslassen und alles, was sich im Äußeren zeigt, kann man
dann im inneren heilen und so. Das ist ein wichtiger Bestandteil, diese Coachings. Dann gab es
auch Gruppencoachings, also ich habe später auch Gruppencoachings gemacht. Naja und man hat
tatsächlich auch bei diesen Coachings immer diese Form von Suggestionsübungen gemacht, also
wie so eine Meditation oder was ich gerade eben erklärt habe. Und das fühlte sich am Anfang eben
gut an bei mir, aber mit der Zeit macht das auch was mit einem. Es ging ja um Verbindung, also in
Bindung zu kommen mit sich und mit anderen über diese Online-Geschichte und über Facebook
und so, das ist auch ein wichtiger Bestandteil, dass man da viel nachlesen kann. Dann gab es da
auch Webinare, so fing das auch an, dass ich mir das angekuckt habe.
Also bei mir fing es das ja an mit diesen Coachings und dann habe ich gedacht: „Ach, mach mal
Gruppencoachings.“ Die waren dann günstiger, also da habe ich dann jede Woche so ein
Gruppencoaching gemacht. Am Anfang war das alles noch harmloser, aber dann hat man den
Kontakt zu den Menschen gekriegt und die haben dann eben erzählt, was sie dann so tolles da noch
weiter erleben, und da gab es halt im Hintergrund wie so ein Gerüst, weißt du, das diese Gurus aus
Amerika aufgebaut hatten. Und das ist dann noch mal wie ein Multi-Level-Marketing, also gibt es
im Coaching-Bereich inzwischen ganz viel, das die wie so eine Art Coaching-System aufgebaut
haben. Also die selber haben ihre Methode erst mal entwickelt und weitergegeben in Form einer
Online-Schule, das heißt, die haben sich da hingesetzt und unten hatte man noch so zehn oder
fünfzehn Personen mitsitzen und das haben die gefilmt. Das haben die vielleicht im Jahr 2018 oder
2017 gemacht. Da haben die hunderte Stunden von Material aufgenommen und diese Schule
gefilmt oder ihre Coaching-Methode. Und dieses Gefilmte haben die dann online gestellt und haben
dann gesagt: „Das ist ganz wichtig.“ Es geht ja auch Stück für Stück, also man muss das dann
kaufen oder wird angehalten, das zu tun, und nur dann gerät man höher in seiner Schwingung, und
wenn man sich diese Schule ankuckt, würde man auch innerlich mit heilen. Also das war was
Wichtiges und da gab es zwei verschiedene, wie soll ich sagen, also es gab eine sogenannte
Ascension-school und es gab eine Life-Purpose-school. Und bei dieser Ascension-school gab es
auch zwei verschiedene Durchläufe und das alles hat man Stück für Stück auch gekauft und konnte
sich dann immer wieder diese Schule ankucken, in dem Glauben, dass einem das hilft, also das war
der Hintergrund. Man wurde auch dazu angehalten, direkt seine Soul-family zu entdecken, also es
gab dann auch Treffen mit Freunden, manchmal am Wochenende und so, und jetzt muss man sich
mal vorstellen, es war Pandemie und da war das dann manchmal auch ganz schön in Kontakt zu
sein. Es gab auch so Heilungssessions, da hat man sich dann getroffen und das ganze aufgenommen
und zu bestimmten Themen geheilt.
Was die Gurus auch noch aufgebaut haben, ist so eine Art Kirche. Da haben die jeden Sonntag eine
Art Gottesdienst aufgenommen, auch alles über Zoom, da waren Leute aus der Gruppe dann
angehalten mitzumachen. Und so ist man Stück für Stück da reingeraten… Es ging auch später dann
darum, dass man selber da Aufgaben übernimmt… Und ja, ich kann nur sagen, es ist möglich, also
es gibt inzwischen auch viele andere selbsthilfe Gurus oder spirituelle Gurus, also auch Frauen, ich
sag auch immer, dass es noch mehr gibt, dass es nicht nur die eine Gruppe ist, die da ein ganzes
System im Hintergrund aufbauen oder aufgebaut haben und diese Form dieser Manipulation oder
Bewusstseinskontrolle ist eben hier besonders, in meinen Augen, durch diese Coachings geschehen.
Durch diese Tranceübungen hat man quasi fast ein bisschen sein Gehirn oder seinen Geist, sein
System wie „neu programmiert“ oder so. Ich kann immer nur sagen, es ist möglich, also man muss
aufpassen.
K:Sie haben ja gesagt, dass Sie das anfangs sehr positiv wahrgenommen haben, wie würden Sie
jetzt rückblickend die Zeit beschreiben?
J: Ich hab mich dann im Nachhinein ja auch damit beschäftigt, um das Ganze zu verarbeiten „Was
war da eigentlich los?“. So ungefähr. Es ist bei vielen so, dass es am Anfang eine große
Begeisterung gibt, man hat da was für sich entdeckt und ich würde fast sagen, bis zur Hälfte der
Zeit war eine große Begeisterung da. Es fängt damit an, dass man genug hat von dem, was man
bisher gelebt hat und will jetzt mal was Neues aufbauen und will die Welt ein bisschen zu einem
besseren Ort machen, das ist ja erst mal nichts schlechtes. Und ich dachte eben: „Wow, diese
Innere-Kind-Arbeit, oder diese Herzverbindung, das macht ja wirklich was mit mir und ich fühle
mich wirklich besser“. Also man ist auch schnell in so einem magischen Denken drin, vor allem
wenn die anderen dann sagen: „Oh bei mir ist auch das und das passiert… und jedes Mal wenn ich
diese Übung mache, ist mein Leben viel besser“. Es ist auch so ein Gruppen-Ding und ich war
wirklich hochbegeistert am Anfang, da muss also auch irgendwas dabei sein, das einem am Anfang
gutzutun scheint, so sage ich das jetzt mal. Vielleicht auch dieses Zugehörigkeitsgefühl. Das war
eben bis zur Hälfte so bei mir und dann ist das irgendwann gekippt. Also, so würde ich das glatt
nennen. Ich habe immer mal überlegt: „Wo war jetzt der Punkt?“. Ich kann es nicht ganz genau
greifen, weil das ist ja auch wichtig für einen: „Wann war das?“ Und: „Wo fühlte ich mich noch frei
und wann war ich jetzt wirklich unter Einfluss?“. Denn zum Ende hin, als ich ausgestiegen bin, war
das dann schon eine sehr schwierige Erfahrung, wo ich im Nachhinein sagen würde, ich war da echt
irgendwie beeinflusst und nicht mehr so richtig ich selbst. Und dann ist es auch eher zum Ende hin
so, dass man sich, das immer weiter schön einredet und man kommt auch immer mehr in so eine
Abhängigkeit oder so einen inner-circle, also einen inneren Kreis von dieser Gruppe. Du
übernimmst ja dann auch Aufgaben und bist vielleicht auch mehr gebunden an diese Gruppe und
gleichzeitig passiert da auch immer mehr so eine Isolation von Außen und das beides zusammen
bringt dich in diesen Zustand, dass du da nicht mehr raus kommst. Dann ist es irgendwann möglich,
dass die wirklich dein gesamtes Weltbild quasi umstülpen können, also das, was vorher richtig und
falsch war, ist dann irgendwie ganz anders und das Außen, die normale Welt oder die Welt, die wir
jetzt erleben, die hat natürlich auch Fehler oder blöde Seiten, aber auch gute Seiten, aber das ist
dann wie ein schwarz-weiß, dann ist es eben nur noch in der Gruppe gut, aber nicht mehr in der
Welt da draußen. Und das ist das, wo es eben schwierig wird, also wo man sich isoliert und wo man
so weit drinn ist in diesem System, dass man eben nicht mehr so leicht raus kommt. Das fühlte sich
dann wirklich ein bisschen so an, als ob ich da gefangen bin oder drinn stecken geblieben bin.
K: Haben Sie die Bewusstseinskontrolle, die zu diesem Zustand irgendwie wahrgenommen oder
können Sie im Nachhinein sagen, wie das ungefähr aussah?
J: Also ich habe sie in dem Moment nicht wahrgenommen, wenn es dir in dem Moment wirklich
bewusst ist, dann ist ja eigentlich der Moment, wo du aussteigst. Ich kann nur im Nachhinein sagen,
dass das schon wie ein Kampf ist, der da in einem stattfindet, also es ist nicht so, als ob man so ein
Zombie ist, es gibt noch irgendwo einen Teil, der anders ist und der auch ansprechbar ist, wie so ein
freier Teil, aber der wird ein bisschen unterdrückt, so habe ich das empfunden. Ich habe in der
letzten Zeit schon gemerkt, dass es mir nicht gut geht und habe es vor allem dann im Nachhinein
aber wirklich noch mal rekapitulieren müssen: „Was war das denn jetzt eigentlich?“ Man ist dann
auch wenn man aussteigt, immer noch so ein bisschen wie gefangen zwischen diesen zwei
Zuständen. Dieses autonome Selbst und trotzdem ist da noch dieses Kultselbst, man schwingt da so
ein bisschen hin und her. Es ist einfach wirklich so, dass die Gefühle und auch das Denken schon
sehr stark beeinflusst sind, als würde man sich immer wieder selber etwas einreden. So muss man
sich das vorstellen. Also weil das dann tagtäglich durch bestimmte Coachings oder wie so eine
innere Meditation, nur dass man die eben übertrieben macht, einem im Prinzip immer wieder so
was eingeredet wird. So fühlt sich das an und ich hab es in meinen Videos ja auch öfters gesagt, als
ich ausgestiegen bin, hab ich mich öfters wie benebelt gefühlt, es ist wirklich so, als wenn da so
Zustände erreicht werden, wo man wirklich nicht mehr richtig bei sich selbst ist, ein bisschen wie
aufgelöst, weil man seine eigenen Grenzen auch nicht mehr so richtig wahrnimmt und da muss man
erst mal eine Weile dran arbeiten, um das wieder hinzukriegen. Also es ist jetzt natürlich alles meine
persönliche Erfahrung, muss ich auch sagen, es gibt da auch ganz viel theoretischen Hintergrund,
aber das ist ja wahrscheinlich jetzt auch das Interessannte.
K: Würde Sie noch ein bisschen was zu Ihrem Ausstieg erzählen?
J: Ja kann ich machen, so im Groben. Also das waren zwei Sachen, erst mal ging es mir ja nicht so
gut, die hatten da auch noch so ein Traumaheilungsprogramm, wo man dann in Flashbacks reingeht
und über seine Traumata redet, und einem dann eingeredet wird: „Schmerz existiert nicht“,so „Pain
is not real“ und „Nur die Liebe zu Gott ist das einzig Wahre“. Da habe ich gemerkt, damit geht es
mit gar nicht gut und dass ich wirklich schon fast wie Halluzinationen hatte und sehr oft wirklich
ziemlich mitgenommen war, in einem traumatischen Zustand, und sehr oft geweint habe und so.
Also es war irgendwie nicht mehr gut und dann gab es eben noch eine Person von Außen, eine
Angehörige, die mich damit quasi konfrontiert hat. Wobei die anderen Freunde, die ich hatte, das
gar nicht so gemerkt haben. Es war ja auch die Pandemie und dadurch hatte man je eh nicht so viel
Kontakt und so, man hat sich schon ab und zu mal gesehen, aber nicht so durchgängig, wie es
vielleicht sonst der Fall ist. Aber diese Angehörige hat das wirklich ernst genommen, weil es ist ja
immer die Frage: „Ist da jemand in so einer spirituellen Gruppe?“ Muss ja erst mal nichts
schlimmes sein. Man muss das ja erst mal verstehen. Und die hat da nachgeforscht und hat einiges
rausgefunden und sich auch mit Experten unterhalten und hat auch sogar mit Freunden von mir
geredet. Die haben aber alle noch gedacht: „Ach lass sie sich doch jetzt mal spirituell
weiterentwickeln“ oder so, die haben das nicht so ernst genommen und sie hat dann aber gesagt:
„Hey du, wir müssen jetzt mal reden“. Und ja, ich wollte davor auch fast fliehen, aber sie hat mich
dann ganz hart konfrontiert, weiß ich noch, und ich konnte dann gerade nicht ausweichen in dem
Moment. Wir haben uns dann getroffen und erst mal über die ganze Sache geredet und das hat mir
dann irgendwie geholfen und die Augen geöffnet. Dieses Gespräch und gleichzeitig, dass ich
merkte: „Mir gehts irgendwie nicht gut“. Und dann war es tatsächlich so, dass ich von einem Tag
auf den anderen relativ schnell gesagt habe: „Ne, also das ist jetzt gar nicht mehr gut, ich muss jetzt
hier raus.“
K: Wenn diese direkte Konfrontation auch dazu geführt hat, dass Sie diese Gruppe verlassen haben,
würden Sie Angehörigen von Sektenmitgliedern auch zur Konfrontation raten oder hätten Sie
andere Ratschläge?
J: Es ist immer total schwierig. Ich habe irgendwo gelesen, man muss guter Bulle, böser Bulle sein,
oder… Es ist schwer die Person zu erreichen… Auf jeden Fall ist es trotzdem wichtig, die Person
nicht aufzugeben und weiterhin Kontakt zu haben und zu sagen: „Hey, du bist mir wichtig…“
Vielleicht immer mal melden und wenn es möglich ist, versuchen darüber Gespräche zu führen, das
würde ich schon empfehlen, weil das eben eine andere Form von Kontakt ist. Und wenn vorher eine
Bindung existiert hat, ich habe mich ja auch viel mit diesem Bindungs-hintergrund beschäftigt, also
dass es ganz wichtig sein kann, das immer wieder aufzuzeigen: „Kuck mal, wir hatten doch ne
Bindung“ und das irgendwie spürbar zu machen. Ich glaube, das war auch das, was ich dann in dem
Gespräch wieder gespürt habe. Dir wird ja eingeredet, das ist, glaube ich in all diesen Gruppen so,
dass das Außen dich manipulieren will, oder diese alten Freunde oder Familie, Eltern und so weiter.
Aber dann merkst du, und das war bei mir der Fall, „Eigentlich will mich diese Person jetzt gar
nicht manipulieren.“ Also es ist so ein bisschen, wie wenn man in so einer doppelten Matrix oder so
gefangen ist, weil dir wird ja immer genau das Gegenteil eingeredet. Wer dich eigentlich
manipuliert, ist ja die Gruppe und es wird dir genau andersrum eingeredet. Als ich das dann gemerkt
habe, war es wie, als ob so ein Vorhang gefallen ist oder so eine Wand. Eine Grenze, die sich
geöffnet hat, eine Grenze der Isolation. Das ist, galube ich, ganz wichtig, immer weiter dieses
Gefühl zu vermitteln.
K: Wie wirkt sich denn diese Erfahrung heute noch auf Ihr leben aus?
J: Jetzt muss ich mal kurz überlegen… Es ist ja jetzt zwei Jahre ungefähr her und es war ein Jahr,
dass ich da drin war, aber trotzdem sehr erschreckend im Nachhinein festzustellen, wie schnell
einen so was catchen kann, dass man wie in einen Strudel gerät und auch ganz viel Geld verliert
und sein ganzes plötzlich nach etwas anderem ausrichtet. Es ist schon wie eine Narbe oder ein
Bruch in einem selber, der da existiert. Ich war ja in einer Selbsthilfegruppe und da hatte eine mal
gesagt: „Ich hab einen Sprung“. Ja, also so kann man sich das vielleicht vorstellen, dein
Grundglaube an Menschen ist ja auch so ein bisschen erschüttert… also es sind ja immer Menschen,
die das machen, auch wenn wir hier von Religion reden… Es kann ja wirklich in jeder Gruppe so
eine Manipulation stattfinden…also man ist erst mal schon sehr erschüttert, wie sehr und wie schnell
man so beeinflussbar ist und dass man dann auch selber in Teil von so einem System ist. Mich hat
es schon sehr lange beschäftigt, das erst mal zu verarbeiten. Jetzt im Moment geht es mir schon
ganz gut, würde ich sagen, aber ab und zu beschäftigt mich das eben doch immer noch ganz schön.
Ich hab dann ja auch Videos darüber gemacht, um auch darüber aufzuklären, wie das passieren kann
und dass man anderen auch sagen kann: „Hey, das kann jedem passieren und das geht echt ziemlich
schnell.“ Das ist mir, glaube ich, immer noch wichtig…Ich habe aber auch draus gelernt, das ist
vielleicht auch wieder positiv, also irgendwie hat das Thema auch was für mich, weil wir alle
vielleicht auch daraus lernen können, besser mit Menschen umzugehen und ja, wie schnell das
gehen kann, dass so ein totales System quasi entstehen kann und zu spüren, wann das eben auch
nicht so ist. Also ich merke jetzt viel schneller, wenn da irgendeine Person ist, die manipulativ ist
oder wenn ich in einer Gruppe oder unter Menschen bin, wo ich das Gefühl habe, dass es nicht so
ist. Also ich kann das jetzt auch ab und zu schon wieder genießen. Das ist nämlich etwas, das einem
danach erst mal nicht so leicht fällt, in Gruppen zu sein, aber ich halte es für ratsam, das trotzdem
zu machen. Es ist dann ja, wie wenn man einen Unfall erlebt hat, dann wieder ins Auto zu steigen.
Das ist dann tatsächlich erst mal nicht so einfach, man muss dann das Vertrauen zu anderen
Menschen wieder kriegen, aber ich denke, wie gesagt, man kann daraus lernen und es auch
schätzen, wenn man mit anderen so in Verbindung ist, ohne dass dahinter jemand ist, der etwas will.